Seit einiger Zeit beschäftigt mich die Frage, was Gleichbehandlung in der Berufswelt eigentlich ist.
Ich denke, dass Gleichbehandlung und Gleichstellung sehr vielschichtig sind. Ich denke auch, dass es abhängig von der Branche und vielleicht auch von dem Ausbildungsniveau ist.
Aktuell habe ich das Gefühl, dass ich als Frau eher Vorteile als Nachteile in meinem Job und auch bei Bewerbungen habe.

Ich bin sehr froh darum, dass ich das Gefühl habe die gleichen Chancen und Möglichkeiten zu haben, wie Männer. Aber ich will auch nicht aufgrund meines Geschlechts bevorzugt werden. Daher stelle ich mir die Frage, was ich von einer Frauenquote, von Frauenförderungen und von Frauennetzwerken halten soll.
Können diese Dinge überhaupt eine Gleichstellung bewirken? Reichen sie aus? Bewirken sie an manchen Stellen nicht sogar eine Besserstellung von Frauen? Sind die ergriffenen Massnahmen überhaupt die richtigen? Vermutlich muss ein Umdenken in der gesamten Gesellschaft stattfinden. Aber wie bewirkt man das? Das sind alles sehr gesellschaftspolitische Fragen.
In meiner kleinen Welt fühle ich mich nicht benachteiligt. Und daher würde ich in meinem Umfeld auch keine Frauenquote haben wollen. In meiner Branche hätten viele gerne mehr Frauen und daher denke ich, dass eine Frauenquote nichts ändern würde. Es fehlen einfach Bewerberinnen und Kolleginnen und ich denke, dass man viel früher in der Entwicklung ansetzen und bereits jungen Mädchen vorleben muss, dass sie alle Wege gehen können, die sie wollen.

Ohne Frauenquote weiss ich, dass die Entwicklungen, die ich mache und die Welten, die sich mir eröffnen, aufgrund meiner Leistung und nicht aufgrund meines Geschlechts bestehen. Würde mir also eine Frauenquote also vielleicht sogar einen Nachteil verschaffen?

Eine weitere Frage die ich mir stelle, ist die, ob ich Frauenförderung befürworten will. Vor ca. einem Jahr habe ich angestrebt an einem Frauenförderungsprogramm teilzunehmen. Ein Kollege sagte zu mir: "Du willst doch immer gleich behandelt werden, das ich nicht fair." Hat er recht? Ich kann das aktuell nicht beantworten. Aus dem Programm ist nichts geworden...

Frauennetzwerke sehe ich am wenigsten kritisch. Nichts desto trotz haben wir Frauen damit etwas, was die Männer nicht haben. Die Ausflüge die zusammen gemacht werden sind meist sehr aussergewöhnlich und gewähren Zugang zu Dingen um die meine männlichen Kollegen mich beneiden. Zu einigen der Ausflugszielen habe ich auch nachträglich Kollegen Zugang verschafft und sie waren mir dankbar dafür. Dieses Netzwerk sehe ich aber nicht als Karrierevorteil und somit spielt es meiner Meinung nach nicht in der gleichen Liga wie Frauenquoten oder Frauenförderung. Natürlich ermöglicht einem das Netzwerk das networking, aber das lässt sich auch auf anderem Wege verfolgen.

Die Frage, ob ich mit weiblichen Charme und einem Lächeln Türen öffnen darf habe ich mittlerweile für mich beantwortet. Es ist nicht so, dass ich Sexualität dafür nutze. Aber ich bin einfach offen und nett, und das sollte in jedem Fall selbstverständlich sein, oder?





sturmfrau, Freitag, 7. November 2014, 21:39
Ich befinde mich da in einem ähnlichen Zwiespalt. Ich frage mich immer, inwiefern wir Frauen tatsächlich Förderung und Quoten nötig haben und ob das nicht auch Männer benachteiligt.

Gerade dieser Ruf nach mehr Frauen in Führungsetagen macht mir da etwas zu schaffen. Natürlich ist es angemessen, dass Frauen im selben Maß die Geschicke von Unternehmen leiten sollten wie Männer. Andererseits nötigt einem (ganz gleich, ob Frau oder Mann) so ein Posten allerdings auch Engagement ab, das viele nicht leisten wollen oder können. Und ich kann beides verstehen. Ein Vorstandsvorsitzender, der zugleich auch noch Familie hat oder haben will, benötigt jemanden, der ihm den Rücken freihält, seine Wäsche wäscht und seine Kinder erzieht. Umgekehrt benötigte eine Vorstandsvorsitzende ebenso jemanden, der ihre Wäsche wüsche und ihre Kinder erzöge. Denn das macht man nicht mal so nebenbei neben einer 40-Stunden-Woche, zwischen endlosen Meetings und Geschäftsreisen. Dass Männer noch mehrheitlich nicht willens oder in der Lage sind, ihren Frauen dergestalt den Rücken freizuhalten, ist das eine. Ein anderer Aspekt ist, dass Frauen (oder vielleicht auch alle, die keine solche Posten innehaben) das gar nicht wollen - sich total aufreiben, nur noch für den Job, für die Firma leben und alles andere zur Nebensache machen.

Das Problem ist also eher ein strukturelles, das man meiner Meinung nach nicht mit Quoten behebt. Die Fragen sind vielmehr: Wie wollen wir eigentlich zukünftig arbeiten und leben? Was trauen wir uns zu, wie werden wir dafür bezahlt, was müssen wir dafür leisten und wie sehen die Voraussetzungen dafür aus?

Welche Jobs Frauen machen wollen und auf was sie sich bewerben, hängt glaube ich nach wie vor sehr stark damit zusammen, wie Mädchen aufwachsen und erzogen werden. Insofern wird sich an diesem Problem wirklich erst dann etwas ändern, wenn es Frauen gibt, die "untypische" Arbeiten vorleben und wenn Eltern ihre Kinder jenseits von Klischees erziehen. Umgekehrt ist das ja auch der Fall. Immer noch gibt es mehr Altenpflegerinnen als -pfleger, mehr Putzfrauen als -männer und mehr Krankenschwestern als Krankenpfleger. Die reproduktiven Arbeiten kleben an den Hacken der Frauen wie Pattex, die produktiven an denen der Männer.

Nett sein - keine per se weibliche Eigenschaft. Aber es gibt meines Erachtens auch einen Unterschied zwischen peinlichem Wimper-Klimper und aufrichtiger Freundlichkeit.


frau ingenieuse, Samstag, 8. November 2014, 21:59
Vielen Dank für den langen Kommentar. Ich stimme Ihnen zu. Insbesondere beim letzten Absatz. Und von Wimper-Klimpern möchte ich mich auch ganz klar distanzieren. Nichtsdestotrotz merke ich, dass in der männerdominierten Welt das Lächeln (oder auch Nett-sein) einer Frau mehr Türen öffnet als das eines Mannes.