Donnerstag, 23. Oktober 2014
Es gab durchaus Zeiten in meinem Leben in der ich lieber ein Junge gewesen wäre, als ein Mädchen. Ich habe Fussball gespielt und hatte nur Jungs als Freunde und es gab immer Situationen bei denen ich dann einfach anders war. Mit beginnender Puppertät konnte ich nicht mehr im Sommer nur mit kurzer Hose rumlaufen, alle 4 Wochen war der Besuch im Schwimmbad nicht mehr so unkompliziert wie gewünscht und das Pinkeln im Stehen ging zwar ganz gut, war aber nicht so ganz normal.

Es ist nicht so, dass ich mich im falschen Körper fühlte, aber ich hatte so im Laufe meiner Entwicklung ein paar extreme Phasen. Bis ungefähr 16 war ich immer sportlich gekleidet und wirklich eher ein Junge als ein Mädchen. Einmal trug ich Plateau-Schuhe von einer Freundin und als dann einige vorschlugen ein wenig Fussball zu spielen, habe ich mich wahnsinnig geärgert, dass ich diese blöden Schuhe trage, so dass das Mitspielen unmöglich war. Gut, dass das nur einmal passierte. In der Zeit war ich wahnsinnig in meinen besten Freund verschossen und musste akzeptieren, dass er immer mit meinen Freundinnen etwas hatte.

Mit 16 Jahren entdeckte ich meine weibliche Seite. Dies hing mit einem Ortswechsel und damit verbundenen Erfahrungen mit Jungs zusammen. Nach meiner Rückkehr sagte ein Freund zu mir: "Heute nehme ich das erste Mal wahr, dass du Brüste hast." Das ist eine Ansage. Und irgendwie auch das süsse Kompliment von einem 16-jährigen, der mit mitteilte, dass er meine Weiblichkeit bemerkt. Ich kannte ihn zu dem Zeitpunkt seit 6 Jahren.

Dann kam die Phase, in der ich ausser meinen Sportschuhen keine flachen Schuhe besass. Gut, dass diese auch irgendwann vorbei ging. Denn immer nur High Heels ist auch anstrengend.

Heute geniesse ich, dass ich die Freiheit habe beide Seiten auszuleben. Ich laufe wahnsinnig gerne mit Röcken oder Kleidern und dazu in Schuhen mit 10 cm Absätzen rum, gehe aber auch gerne in die Werkstatt und trage dort Sicherheitsschuhe und Schutzbrille.
Ich geniesse die Anerkennung, die ich dafür aus allen Richtungen erhalte, auch wenn ich manchmal schade finde, dass es eben als so besonders wahrgenommen wird, was ich mache. Einfach weil es eben zeigt, wie weit weg wir noch davon sind, das Ingenieurinnen als normal wahrgenommen werden. In meinem letzten Vorstellungsgespräch zu dem ich selbstverständlich in Blazer, Rock und Pumps erschienen bin, wurde ich ganz ungläubig angeschaut, als ich sagte, dass ich auch gerne mal in die Werkstatt gehe und mit anpacke.




Ich geniesse meinen Job als Ingenieurin sehr und schätze es auch mit vielen Männern zusammenzuarbeiten. In meiner Branche ist der Frauenanteil noch geringer als in vielen anderen Ingenieurbranchen, da viele in meiner Branche schon als Kind von genau dieser träumten. Ich bin dort eher zufällig gelandet und sehr froh darüber.
Da es scheinbar schier undenkbar ist, dass es eben doch ein paar Frauen gibt, die sich dort tummeln, passieren immer wieder lustige Dinge. Ich erhalte beispielsweise immer wieder E-Mails in deren Anrede ich mit "Herr" angesprochen werde, auch wenn mein Vorname bekannt ist. Es scheint so automatisiert zu sein, E-Mails mit "Sehr geehrter Herr..." zu beginnen. Ich bin mir allerdings sicher, dass das immer nur Versehen sind und bisher sind die Herren, denen das passiert ist, beim Entdecken Ihres Fauxpas, immer fast im Erdboden verschwunden.
Als "Rache" an der Männerwelt habe ich das auch zweimal andersherum gemacht und habe zwei Männer für Frauen gehalten und wäre beim Aufdecken dieses Fehlers am liebsten ebenso wie meine männlichen Kollegen am liebsten verschwunden. Wenigstens kann ich ihnen sagen, dass ich das schon häufiger erlebt habe und sie sich nicht beschweren sollen.

Nachdem ich einem Freund heute davon erzählte, mal wieder eine E-Mail mit falscher Anrede erhalten zu haben, war sein Kommentar: "Du hast durchaus männliche Eigenschaften, die nicht unsexy sind. Die peppen deine Weiblichkeit auf."
Findet er nun mich als Frau sexy oder würde er mich, wenn ich ein Mann wäre, sexy finden?